Guido Reni, Christi Abführung nach der Geißelung

Von Andreas Raub

Ein großer Teil der in Museen und Kirchen verwahrten Kunstwerke behandelt Themen, die allein auf drei Tage im Leben Jesu bezogen sind: Geburt, Kreuzigung und Auferstehung. Von diesen Ereignissen nimmt das Geschehen am Karfreitag einen besonders umfangreichen Raum ein.

Die Kunstgeschichte verweist in dem Zusammenhang auf die Rezeption der Christusmystik des Bernhard von Clairvaux (um 1190–1153) oder des Franz von Assisi (1181–1226), die einer neuen ästhetisierten Passionsdevotion Vorschub leisteten, wie sie in der italienischen Malerei insbesondere seit Giotto (1267/76–1337) künstlerische Erfolge feierte.

Während viele Bildinhalte – Verurteilung, Geißelung, Kreuztragung, Kreuzigung oder Grablegung – allgemein (noch) bekannt und unmittelbar zu erschließen sind, ist die Ikonographie nicht weniger Darstellungen selbst Fachleuten unklar: auch (oder gerade?) in der traditionellen christlichen Malerei sind noch ikonographische Rätsel zu lösen! Im Statens Museum Kopenhagen wird das Fragment eines Altars verwahrt, das die ungewöhnliche Darstellung der trauernden Maria über dem Grab ihres toten Sohnes zeigt.

Die wohl für die Dominikanerkirche zu Perugia um 1345 von Puccio di Simone (ca. 1320–1360), einem bedeutenden Florentiner Maler des Trecento in der Giotto-Nachfolge, angefertigte Tafel stammt aus einem größeren Altarwerk, dessen Einzelteile in New York, Berlin und Gent gezeigt werden. Weder die im 14. Jahrhundert in Italien sehr populären Meditationes Vitae Christi noch konkrete monastische Passionsliteratur konnte bisher benannt werden, um den literarischen Bezug zu der Szene zu bestimmen.

Rezeptionsästhetisch kann der Betrachter an der emotionalen Klage Mariens teilnehmen, die im Trauer- und Witwengewand nicht ihren Sohn (und mystischen Bräutigam), sondern allein den kalten Stein umfassen muss. In der Alten Pinakothek in München befindet sich das mit „Abführung Christi nach der Geißelung“ überschriebene Gemälde des Bologneser Malers Guido Reni (1575–1642). Es stellt einen Moment der Passion Christi nach der Verurteilung durch Pilatus dar.

Die Szene ist weder räumlich noch landschaftlich näher bestimmt, sodass die Betrachtung ganz auf die gegensätzlichen Protagonisten der beiden Bildhälften gelenkt wird, in deren Mitte sich die Figur des fast nackten Verurteilten befindet. An die Stelle der trauernden Frauen, die im Passionsdrama den empathischen und affektvollen Widerpart zu den groben Folterknechten darstellen und in der Figur der Veronika assistieren können, haben drei Engel die Szene betreten, um Schweiß und Blut Christi mit einem Schwamm aufzusammeln und als kostbarstes Gut in eine Vase zu füllen.

Puccio di Simone, Die trauernde Maria am Grab ihres Sohnes

Welche literarischen oder bildlichen Vorlagen lassen sich für die Szene auf dem höchst seltsamen Bildes anführen? Verweist es auf apokryphe Passionsmeditationen? Verwahrten die Auftraggeber des Gemäldes womöglich eine Blut- oder Schweiß-Reliquie Christi, die mit der Auflese der den Boden säubernden Engel in Verbindung gebracht wurde? Obwohl sich ihr Themenspektrum zuvorderst auf drei Tage im Leben Christi beziehen, harren nicht wenige Werke in Kirchen und Museen der Alten Kunst noch einer ikonographischen Entschlüsselung. Das kleine Predellafragment und das große Leinwandbild entstammen völlig unterschiedlichen kunsthistorischen Zusammenhängen, wurden zudem im Abstand von dreihundert Jahren gemalt. Trotz der mit ihnen noch verbundenen Rätsel, interpretieren beide auf künstlerisch hoch originelle Weise den Abgrund des Karfreitags, der im Licht des Osterglaubens malbar wird.