Der bekannte Mediävist Stefan Weinfurter ist tot. Das Mitglied der Görres-Gesellschaft war Rom eng verbunden. Ein Nachruf von Michael Matheus

Völlig überraschend verstarb am 27. August 2018 im Alter von 73 Jahren in seinem Wohnort Mainz Stefan Weinfurter. Der 1945 in Südböhmen (Prachatice) geborene und in Bayern aufgewachsene Spezialist für die Geschichte des frühen und hohen Mittelalters zählte auch dank seiner Präsenz im zahlreichen deutschen Fernsehproduktionen und Hörfunksendungen zu den bekanntesten Historikern in Deutschland. Lehrstühle für Mittelalterliche Geschichte bekleidete er an den Universitäten Eichstätt (1982–1987), Mainz (1987–1994), München (1994–1999) und Heidelberg (1999–2013).

Er wurde zu einem der führenden Experten der karolingischen, ottonischen, salischen und staufischen Reichsgeschichte. Seit seinen ersten Arbeiten zu den Regularkanonikern arbeitete das Mitglied der Görres-Gesellschaft zu zahlreichen Themen der mittelalterlichen Kirchengeschichte. Dabei zeigte sich auch bei diesem Themenspektrum Weinfurters Begabung, ein breites Publikum an zentrale Themen der Mittelalterlichen Geschichte heranzuführen. Sein Buch „Canossa. Die Entzauberung der Welt“ (2006) ist dafür ein beeindruckendes Beispiel. Mit Blick auf die „historische Chiffre“ Canossa formulierte er scharfsinnige Überlegungen zu den seit dem 11. Jahrhundert einsetzenden grundlegenden Neuordnungen („Ordnungsmodellen“, Ordnungskonfigurationen“) des Verhältnisses zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt. Zwischen beiden Sphären wurde in der Folge gedanklich und argumentativ prinzipiell unterschieden, und dies war eine fundamentale Voraussetzung für den sich seit dem 12. Jahrhundert vollziehenden enormen Rationalitätsschub.

Immer wieder beschäftigte sich Stefan Weinfurter mit dieser Umbruchszeit des 11. und beginnenden 12. Jahrhunderts. Für das Zustandekommen der im Jahr 1992 von zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen begleiteten, vom ehemaligen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Bernhard Vogel, angeregten Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz („Das Reich der Salier 1024–1125) war er maßgeblich verantwortlich. Seitdem zählte er – oft gemeinsam mit seinem Heidelberger Kollegen Bernd Schneidmüller – zu den Initiatoren umfangreicher Ausstellungen zur mittelalterlichen Dynastie- und Reichsgeschichte, neben den Saliern zu den Ottonen, den Staufern und den Wittelsbachern (2006 in Magdeburg, 2010/11 und 2014 in Mannheim).
Sein letztes großes, federführend betriebenes Projekt wurde 2017 in Mannheim von Zehntausenden besucht: „Die Päpste und die Einheit der lateinischen Welt.“ Im letzten Jahr der Lutherdekade wollten die Verantwortlichen der Ausstellung und der wissenschaftlichen Begleitbände den Blick über die 500jährige Trennung zwischen Katholiken und Protestanten hinaus auf deren 1500-jährige gemeinsame Geschichte lenken.
Der Verstorbene war in zahlreichen wissenschaftlichen und wissenschaftsorganisatorischen Funktionen tätig. Als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Deutschen Historischen Instituts (DHI) in Rom (2003-2011) und von 2008-2011 als dessen Vorsitzender begleitete er - dessen Familie auch dank verwandtschaftlicher Bindungen Italien eng verbunden ist - tatkräftig die Arbeit dieses ältesten der im Ausland tätigen kulturwissenschaftlichen Institute der Bundesrepublik.
Die von ihm konzipierte rheinland-pfälzische Landeausstellung „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht. Von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa“ wird im Jahr 2020 ohne ihren Spiritus rector eröffnet werden müssen und wird somit zum Vermächtnis eines vielseitigen Historikers und liebenswürdigen Kollegen, der eine Frau, drei Töchter und mehrere Enkelinnen und Enkel hinterlässt.