Ein Buch über den Nazarener Philipp Veit (1793-1877)
Von Antje Ingeborg Wolf
Rezension des Buches Kay Ehling, Philipp Veit. Ein katholischer Mendelssohn und nazarenischer Maler. Verlag Herder, Freiburg i. Br. 2024.
„MIT TRÄNEN IN DEN AUGEN SCHIED MAN VON ROM“ (S. 86), diese Liebe zu der ewigen Stadt zieht sich durch das umfangreiche Werk von Kay Ehling und klingt in vielen der zweiundzwanzig Kapiteln mit; die Sehnsucht nach dem ‚gelobten Land’, wie es sogar heißt, stellt den eigentlichen Leitfaden des Werkes da.
Kay Ehling erklärt und untersucht in einer sehr präzisen Weise, was deutsche Künstler eigentlich in Rom wollten und was sie dort suchten; Künstler wurden zu vielen Zeiten von Rom angezogen und das bis heute. Diese Monographie über den deutschen Künstler Philipp Veit nimmt sein Leben selbst zum Zeitfenster: 1793 wird er in Berlin geboren und stirbt am 18. Dezember 1877 in Mainz.
Mehr als um eine Biographie über Philipp Veit, geht es hier um eine Darstellung der Nazarener.
Es heisst im Untertitel: ein katholischer Mendelssohn und nazarenischer Maler; die Sehnsucht nach Italien, nach Rom insbesondere wird nicht durch eine diffuse Reiselust ausgelöst, eine Art Fernweh; es geht hier nicht um eine Grand-Tour Reise, um archäologische, oder andere Interessenschwerpunkte, sondern um eine Glaubensfrage: die Sehnsucht nach einer ‚intakten’ christlichen Welt. Der Glaube wird zum Motor des künstlerischen Schaffens und er löst ein Aufbäumen gegen das etablierte, akademisch geprägte Kunstverständnis in Deutschland jener Zeit aus, was sehr prägnant im Kapitel ‚Junge Wilde‘ geschildert wird; es geht um Rebellion und um den Kontrast akademischer Ausbildung und künstlerische Wahrheit, die Geburt der St. Lukas- Bruderschaft (S.29) und um die Krise der Kunst in Deutschland um 1800.
Kunstverständnis und Berufung werden vom Autor sehr treffend anhand eines Reiseberichts von Johannes Veit, dem älteren Bruder von Philipp Veit und ebenfalls nazarenischer Künstler, an seine Mutter zu Beginn der Italienreise erläutert: in Venedig entdeckte er die Bilder Giovanni Bellinis „es scheint, wenn man lange vor einigen Bildern von Bellinus verweilt…als würden alle Heiligen von ihren Altären niedersteigen, um die Geheimnisse der christlichen Mysterien zu erklären...“(S. 30)
Der Untertitel: ‚ein katholischer Mendelssohn‘ resultiert aus einem inneren Widerspruch, denn die Familie Mendelssohn ist jüdischen Ursprungs und das erste Kapitel beginnt dann auch mit dem illustren Familienoberhaupt Moses Mendelssohn. Es wird der Übergang von einer jüdischen Identität zu einer christlichen Welt gezeichnet, verkörpert durch Philipp Veit, der Maler unter den Nazarenern, gemeinsam mit seinem Bruder Johannes, der den weitesten und komplexesten Weg zu diesem Kunstausdruck zurückgelegt hat, denn alle weiteren Mitglieder der St. Lucas-Bruderschaft waren katholischen und protestantischen Glaubens; Kay Ehling zitiert aus einem Brief, den die jüdische Mutter Veits, die erst zum evangelischen und später zum katholischen Glauben übertrat, an ihren Sohn schreibt:…“Christus ist der Anfang und das Ende aller Wissenschaft; die Zeit, die du anwenden wirst, seines Glaubens theilhaft zu werden, ist keine verlorne, auch für deine Kunst nicht“. (S.28)
Philipp Veit schrieb selbst es sei „der christlichen Kunst vorbehalten, die feinsten Schattierungen geistiger Entwicklung, Demuth, Sehnsucht, Ergebung, Entzücken, die christlichen Tugenden, den inneren Frieden, die Beseligung in großer Vollkommenheit und scharfer Charakteristik wiederzugeben, auch Schmerz und Trauer aber durch Hoffnung versöhnt, ja selbst die Extase fand durch sie ihre ergreifende Darstellung…“. Mit diesem Zitat schlägt man das Buch von Kay Ehling auf und ist schon ‚mitten im Bild‘ des Autors. Und weiter:„Im Rückblick schien es Philipp Veit, dass jene frühen Romantiker eine ganze Epoche geprägt hatten, und so fragt er:“Selbst unsere Wiedererweckung der christlichen Kunst: wer hat uns denn erweckt? Friedrich Schlegel. Novalis, Wackenroder, Lugwig Tieck.“(S.22).
Wer die Nazarener waren erklärt der Autor von Grund auf und ermöglicht uns einen tiefen Einblick in diesen facettierten ‚Corpus‘ der Nazarener:
wie der Künstler- Kreis der Nazarener entstand und was das Wort Nazarener zu der damaligen Zeit bedeutete, wie die Brücke von den Lucasbrüdern zu einer Haarmode geschlagen wird geht aus dem Text sehr klar hervor (S. 53).
Kay Ehling untersucht auch hierbei die Zeit selbst, bezieht das Urteil der Zeitgenossen mit ein und berücksichtigt in seiner Bildanalyse und Bildkritik insbesondere auch das Urteil von Johann Wolfgang von Goethe, das durch einen Aufsatz von Heinrich Meyer über die ‚neu-deutsche religiös-patriotische Kunst’ auf Wunsch und Anregung Goethes in Goethes Zeitschrift „Über Kunst und Alterthum in den Rhein-Mayn-Gegenden“ veröffentlicht wurde.
Die Vielzahl an historischen Dokumenten aller Art, von Briefen, über Zeitungsartikel, Biographien, Tagebüchern und Sekundärliteratur geben dem vorliegenden Werk Körper und Gewicht, der Autor zitiert, konfrontiert, arbeitet sehr wissenschaftlich und kommt zu interessanten, eigenen Schlüssen.
In der Via di Porta Pinciana 37, Palazzo Guarnieri, 4. Stock, dort genau wohnte Phillip Veit, ein Ort, den es in Rom heute nicht mehr gibt (S. 41).
Der Autor erzählt, wie die Fresko-Kunst durch die Nazarener in der Stanza Bartholdy im Palazzo Zuccari wiederbelebt wird (S.43) und wie es in Rom zu dem sehr bedeutenden Auftrag in der Galleria Chiaramonti in den Vatikanischen Museen kommt: gerade hier bespricht der Autor sehr detailliert das entstandene Werk, unter Berücksichtigung anderer Meinungen und Kommentare, die er erläutert. Es ergibt sich so ein zur Vollständigkeit strebendes Bild seiner Werke auch was den neuesten Studienstand betrifft; diese Vorgehensweise ist sehr anregend und lädt immerzu zum Vertiefen und Anschauen an, wie es so passend in der Vorbemerkung steht, wo der Autor Goethe zitiert:“Denken ist interessanter als Wissen“, sagt Goethe, aber nicht als Anschauen“(S.13).
Insbesondere setzt sich der Autor mit dem Verständnis der Nazarener-Kunst auseinander, er versucht sie zeitkritisch einzuordnen anhand detaillierter Beschreibungen der Freskomalereien Philipp Veits im Casino Massimo. Er führt uns in das Bild und die Gedankenwelt dieses Künstlers und jener Zeit hervorragend ein und damit auch in das Dante-Verständnis jener Zeit (S. 68);
Philipp Veit übersetzt selbst Fragmente der Divina Commedia (S.67-71). Grundsätzlich berücksichtigen die Kommentare die Meinung renommierter Kritiker und nehmen diese selbst in erzählerischer Form auf, wo immer es um die genaue Beschreibung der Werke des Malers geht. Und der Autor lädt nun auch jeden Romliebhaber- und Besucher ein die Fresken des Casino Massimo in der Nähe des Laterans (Via Matteo Boiardo 16, Ecke Via Francesco Berni) zu besichtigen!
Eine rundum gelungene Beschreibung aller Lebens- Aspekte dieser kuriosen, freidenkenden, beschwingenden und glücklichen Lebensgemeinschaft der Nazarener…vom Alltag zu den Malmotiven, von Freundschaften zu Freundschaftsbeweisen und Kontakten untereinander; es ist eine Erzählung, die aus ‚Erzählungen‘ gewebt ist (S. 84/86).
Immer wieder gibt der Autor Aufschluss über den historischen Kontext, wie z.B. bei Philipp Veits Bild ‚Maria Immaculata‘, was Pius IX gefiel, eben dem Papst, der am 8. Dezember 1854 das Dogma der Unbefleckten Empfängnis verkündet; auch die persönliche Kritik des Autors, die immer wieder die seiner Vorgänger berücksichtigt und sich auf diese bezieht, ist ausgedrückt, wenn er schreibt, man solle sich das Bild in seinem Kontext anschauen, in dem es um einiges gewinnen würde (S. 98).
In diesem Sinne bespricht der Autor Friedrich Overbecks ‚Triumph der Religion in den Künsten‘ was die Seele dieser Malerbewegung wiedergibt, die in diesem Werk seinen höchsten Ausdruck findet; er schreibt:„ In seiner Erklärung zum TRIUMPH spricht Overbeck nicht nur von der traurigen Spaltung, die in seinen Augen Luther und die Reformation im 16. Jh. bewirkt hätten, sondern auch davon, dass sich Michelangelo zu sehr zur Bewunderung der Antike hätte hinreißen lassen. So sei es zur Sünde einer wahren Apostasie gekommen. Seitdem habe sich die Kunst selbst auf den Altar gestellt, statt Gott dem Herrn zu dienen, und deshalb seien die Künste in Verfall geraten“. Eine sehr starke These, der eine sehr radikale Vision des Menschen als solches zu Grunde liegt und die einen ‚Sturm an Stimmen‘ auslöste.
An manchen Stellen, wie im XVIII Kapitel, erscheint der Text etwas langatmig und vor allem mühselig, denn die illustrierte Basis fehlt zu dem Text.
Vor allem spiegelt sich in Veits Worten, wie in seinen Bildern der tiefe christliche Glaube wieder, der sein gesamtes Leben, wie es der Autor immer wieder betont, durchzieht:
er redet von Lichtspuren…im Anlitz eines jeden (S. 182).
Nicht zuletzt wird auch das sehr komplexe Thema des jüdisch-deutschen Verhältnisses angesprochen, was auch durch den Schoss der Familie läuft; das Buch beginnt mit diesem Thema und der Autor schließt mit einem zum Denken anregenden Zeitsprung und fordert den Leser auf sich vorzustellen „Veit wäre nicht 1793, sondern 200 Jahre später, 1993 geboren worden“ (S.223) und stellt die offen bleibende Frage:“ Wäre es ihm auch heute, nach den Erfahrungen der Shoa noch so wichtig, Deutscher zu sein? Hätte er die Integration der Juden nach Auschwitz jetzt nicht vielleicht als eine Illusion, eine „Fiktion“ angesehen, wie Gershom Scholem im Jahre 1962 meinte?“(S.224).
Philipp Veit steht geistig und gedanklich dem Görres-Kreis nahe und Kay Ehling schreibt „ein Jahr vor Veits Tod, wurde die Görres-Gesellschaft zur „Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland“ ins Leben gerufen. Deren erklärtes Ziel war es, die Vorherrschaft des weltanschaulichen Liberalismus zurückzudrängen“(S.169).
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- Geschrieben von: Stefan Heid
- Kategorie: Leseempfehlungen