Joseph Ratzinger feierte annähernd 40 Jahre lange die Donnerstags-Frühmesse am Campo Santo Teutonico und begüßte anschließend einzeln die wartenden Personen und Gruppen, die in den Touristenmonaten in großen Scharen kamen. Man könnte dicke Bände mit den Fotografien zusammenstellen, die in den vielen Jahren auf dem deutschen Friedhof gemacht wurden.

Man könnte aber auch viele Anekdoten und Erzählungen zusammenstellen über bemerkenswerte Ereignisse, die sich hierbei abgespielt haben. Ein Beispiel findet man in dem Buch "Nichts als die Wahrheit. Mein Leben mit Benedikt XVI." von dessen Privatsekretär Georg Gänswein. Das Buch bietet eine Sicht in den Alltag des Glaubenspräfekten und Papstes. Für solche, die sich ein wenig auskennen, bestätigt die Lektüre, was man im Großen und Ganzen wusste oder geahnt hat, auch wenn im Detail durchaus auch interessante Urteile fallen.

Gänswein weiß von sich selbst zu berichten, dass er als Kollegiat des Campo Santo Teutonico nach der Frühmesse von Kardinal Ratzinger angesprochen wurde, ob er nicht in der Glaubenskongregation mitarbeiten wollen. Bislang war er für die Gottesdienstkongregation freigestellt.

"Damals wohnte ich im Vatikan, genauer gesagt im Deutschen Priesterkolleg beim Campo Santo Teutonico, das zwischen der Päpstlichen Audienzhalle und dem Petersdom liegt. Die Frühmesse in der angrenzenden Kirche der Erzbruderschaft Zur Schmerzhaften Muttergottes fand täglich um sieben Uhr statt und wurde donnerstags regelmäßig von Kardinal Ratzinger zelebriert, der danach noch zum Frühstück blieb. Als wir miteinander bekannt gemacht wurden, konnte ich ihm berichten, dass ich in München studiert hatte und daneben in Sankt Peter, der ältesten Pfarrgemeinde der Stadt, die er offensichtlich gut kannte, seelsorgerisch tätig gewesen war. Im Lauf der Wochen gewannen unsere anfangs oberflächlichen Gespräche an Tiefe: Er wollte mehr über meine Arbeit in der Kongregation für den Gottesdienst wissen und erkundigte sich genauer nach meinem Studium.

Ungefähr Mitte Septembere 1995 begrüßte mich Kardinal Ratzinger nach der Messe und bat mich, zum ihm in die Kongregation zu kommen, da er mit mir reden wolle. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, also rief ich seinen Privatsekretär Monsignore Josef Clemens an, um einen Termin zu vereinbaren, und fragte ihn, da wir uns bereits kannten, ob er mir Näheres zum Grund der Einladung sagen könne, was er jedoch verneinte. Als ich das Arbeitszimmer des Präfekten betrat, war mir etwas mulmig zumute, weil ich fürchtte, etwas angestellt zu haben: Er empfing mich jedoch herzlich und sagte mir, dass er auf der Suche nach einem Nachfolger für einen deutsch-sprachigen Mitarbeiter sei, der demnächst in seine Heimatdiözese zurückkehren werde. Da mein Lebenslauf passte, fragte er nich, ob ich mir einen Wechsel vorstellen könne" (S. 95-96).  

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