Von Hartmut Benz

Der letzte Zeitzeuge, der vom Leben im Camposanto Teutonico während der Kriegsjahre 1943/44 berichten konnte, ist tot: am 17. November starb in Marti in der Toskana, im Alter von 98 Jahren, Stefano Majnoni d’Intignano Marchese di Poggio Baldovinetti. Majnoni war einer der Italiener, die nach dem 8. September 1943, der Besetzung Roms durch die deutsche Wehrmacht, Zuflucht im Camposanto fanden.

Als Anfang 1944 die unter der Protektion des deutschen Reiches etablierte faschistische „Repubblica Sociale“ die Geburtsjahrgänge 1923, 1924 und 1925 zu den Waffen rief, zählten der 1923 geborene Majnoni und sein ein Jahr jüngerer Bruder Francesco zu den Wehrpflichtigen, die dieser Einberufung nicht folgten. Familie Majnoni lebte seit 1935 in Rom, im Palazzo Colonna, der wie andere römische Adelspaläste von der deutschen Besatzung mißtrauisch beobachtet wurde. Um ihre Eltern nicht zu gefährden, entschlossen sich die Brüder Majnoni Anfang März 1944, einen sicheren Unterschlupf in der Stadt zu suchen.

Ihr Vater, der aus Mailand stammte, war eng mit Camillo Kardinal Caccia Dominioni (1877 – 1946) befreundet, der seit 12. Januar 1939 Protektor des Camposanto Teutonico war. Dieser bot an, die Beiden zum Collegio Teutonico zu bringen. Versteckt im Fußraum der von einem Chauffeur gesteuerten Limousine des Kardinals, die ein Vatikan-Kennzeichen trug, erreichte man ohne angehalten zu werden den Vatikanstaat. Majnoni hörte das Gespräch des Fahrers mit dem italienischen Posten am Petersplatz und die Meldung des Schweizergardisten am Arco delle Campane an den im Fonds sitzenden Kardinal.

Außerdem hatte er, der zugedeckt vor dem Beifahrersitz kauerte, auf der Fahrt Gelegenheit, die Samtpantoffel und roten Seidenstrümpfe des Kardinals zu bewundern. Im Camposanto kamen die Majnoni im Oratorium unter, wo sie und andere in diesen Tagen eintreffende „renitenti alla leva“ (Kriegsdienstverweigerer) durch ihr ausgelassenes, lautstarkes Auftreten nicht nur Freunde fanden.

Kurz nach Majnonis Flucht wurde der Palazzo Colonna tatsächlich durchsucht und seine Eltern verhaftet. Mit der Besetzung Roms durch amerikanische Truppen fand am 4. Juni 1944 auch für Majnoni die Zeit der Ungewißheit ein Ende. Er schloß sich sogleich dem „Corpo Italiano di Liberazione“ an, mit dem er die deutsche Besatzung bis zur Gotenlinie und (im April 1945) bis Bologna verfolgte.

Nach dem Krieg studierte er in Rom und Zürich Chemie und war bis 1995 in Mailand und in Basel in der Pharmaindustrie tätig. In seinen Jugenderinnerungen gedenkt er auch seines Asyls im Camposanto. Mit einigen der dortigen Schicksalsgenossen, vor allem mit Walter Vogelgesang und Alessandro Ballio (auch er Chemiker), die 2016 bzw. 2014 starben, blieb er zeitlebends in Kontakt.

Sein Bruder starb bereits im Jahr 2000. Bis ins hohe Alter war Majnoni ein verlässlicher und stets hilfsbereiter Zeitzeuge. Ein für Oktober 2016 geplanter Besuch am Camposanto kam leider nicht zustande, da kurz vor besagtem Termin Majnonis Frau starb.

Siehe auch J. Ickx / S. Heid, Der Campo Santo Teutonico, das deutsche Priesterkolleg und die Erzbruderschaft zur Schmerzhaften Mutter Gottes während des Zweiten Weltkriegs, in: M. Matheus / S. Heid (Hg.), Orte der Zuflucht und personeller Netzwerke. Der Campo Santo Teutonico und der Vatikan 1933-1955 (Freiburg i.Br. 2015) 137-196, hier 160.