Ein m.W. unveröffentlichtes Heft des Papsthistorikers Ludwig Pastor über seinen ersten Romaufenthalt 1879 am Campo Santo Teutonico, geschrieben allerdings erst etwa 1918, findet sich in Pastors Nachlass in der Vatikanbibliothek. Hier seine Ausführungen über den Campo Santo Teutonico, die Personen und Lebensweise am Kolleg:

Ms. „1878 und Romfahrt 1879“ [1918] (BAV Lascito Pastor 146): „[fol. 8] Die Einsicht in die Größe der Renaissance sollte mir erst in Rom aufgehen. Dorthin brachte mich am 10. Januar der Morgenschnellzug. Als ich um halb zwei Uhr im Campo santo anlangte, wo ich wegen der Nähe des Vatikans Wohnung nehmen wollte, wurde ich von Monsignore de Waal sehr freundlich empfangen. Ich fühlte mich in meinem neuen Heim bald recht behaglich. Das alte deutsche Nationalhospiz besaß damals noch nicht den [fol. 9] schönen Anbau, den sein unermüdlicher Rektor de Waal später geschaffen hat.

Ich wohnte in dem alten, etwas engen Hause im zweiten Stock im Eckzimmer. Es war derselbe Raum, in dem Privatdozent Georg Hüffer […] gewohnt hat. Links grüßt die Kuppel von St. Peter herüber, in deren Schatten das Haus liegt, die Aussicht auf den Petersplatz war durch die Kollonaden (!) versperrt, jedoch konnte ich den obern Teil des berühmten Obelisken sehen. Mein Zimmer war ziemlich klein, sodaß ich meine vielen Bücher nur mit Not aufstellen konnte, aber es besaß einen guten Ofen, den ich an den kalten Januartagen, wenn ich halberfroren von der ungeheizten vatikanischen Bibliothek zurückkehrte, besonders schätzen lernte. […]

Wie in einem Kloster geregelt war auch das Leben, alle Mahlzeiten wurden im Refektorium genommen. Das Frühstück [fol. 10] ein schlechter Kaffee mit trockenem Brot zu beliebiger Zeit, der Mittagstisch um ein Uhr, das Abendbrot um acht Uhr. Nach den Mahlzeiten war kurze Anbetung in der Kapelle, einem Oratorium, von dem man in die Kirche hineinblickte. Mittags wurde das Martyrologium und dann aus einem andern religiösen Buch vorgelesen, darauf freie Unterhaltung.

De Waal präsidierte als Rektor, an ihn reihten sich nach dem Alter die übrigen Herrn Geistlichen: Kreutzwald, Hytrek, Hitze, Nikolaus Steinmetz, Mutz, Jansen und zuletzt als Laie ich. Die Unterhaltung war meist sehr angeregt, besonders wenn ich erbittert über Bismarks Kulturkampf mit dem die Preußen möglichst verteidigenden Hitze stritt; das hinderte aber nicht, daß wir fast freundschaftlich verkehrten. Meinen Rat, die italienischen sozialen Verhältnisse zu studieren, hat Hitze freilich nicht befolgt, mit westfälischer Hartnäckigkeit blieb er dabei, sich nur mit den sozialen Verhältnissen Deutschlands zu beschäftigen; über diese habe ich manches von ihm gelernt [...].

Von Dr. Kreutzwald lernte ich vieles aus dem Gebiete des kanonischen Rechtes, von de Waal und Hytrek aus dem der christlichen Archäologie. Hytrek ein Pole war ein ungemein lieber Mensch, der auch Rom genau kannte und mich bei meinen Wanderungen durch die Antiquariatsläden oft begleitete. Ich suchte dort nur Bücher, er Altertümer. Hytrek war längere Zeit auch in Afrika gewesen, wovon er sehr interessant zu erzählen wusste. Die vielen Antiquitäten, die er gesammelt, darunter sehr seltene päpstliche Münzen, sind später an de Waal für das Museum des Campo Santo erworben worden. Der Badenser Mutz war eine still in sich gekehrte Natur; der Rheinländer, der fröhliche war Steinmetz, in dessen Begleitung ich mir den römischen Karneval ansah.

Am nächsten von allen stand mir Andreas Jansen. Dieser vortreffliche Holländer, geboren am 3. Januar 1849 zu Zwolle, hatte in Münster und Groningen Philologie studiert, sich aber dann für das Priestertum entschieden, nachdem er eine Zeit lang in Holland im Lehrfache tätig gewesen war. In Rom wollte er seine [fol. 12] theologische Ausbildung vollenden. Ich lernte bald seinen idealen Sinn und seine warme Liebe zur Kirche schätzen. Unsere Freundschaft wurde noch dadurch vermehrt, daß er sich auch lebhaft für Kirchengeschichte interessierte. Manche Stunde haben wir abends bei einer Zigarre gemütlich zugebracht, denn wir harmonierten in allem. Dr. Jansen zeichnete sich in größerer Gesellschaft durch seine Beredsamkeit und seinen Humor aus. […]. [fol. 13] […]

Er [de Waal; S.H.] war eine ebenso interessante wie originelle Persönlichkeit. An seine Art mußte man sich erst gewöhnen, denn ,Europens übertünchte Höflichkeit' war ihm völlig fremd. Aber in der rauen Schale steckte ein goldener Kerl. Vor allem war de Waal ein musterhafter Priester, voll Liebe für die Kirche und das Papsttum. Wer ihn als Führer in den Katakomben oder den Grotten von St. Peter, als Erklärer der Monumente gehört hat, wird diese Stunden nie vergessen. Er strahlte eine Begeisterung aus, welche die Zuhörer unwillkürlich mit ergriff, so schwungvoll verstand er es, die Heldenära des Christentums vor das geistige Auge zu führen.

Den strengen Maßstab der Wissenschaft durfte man freilich nicht an alle seine Ausführungen anlegen, denn ein exakter Forscher war de Waal nicht, dazu fehlte ihm die Vorbildung [fol. 14] und auch die Anlage. Aber er verstand es im höchsten Grade anregend zu wirken, und dies machte ihn sehr geeignet zur Leitung des kleinen Kreises von Gelehrten, den er in seinen Camposanto zu ziehen wußte.

Für diesen lebte und webte er. Kein Opfer war ihm zu groß, um die nötigen Gelder zur Erweiterung der Stiftung zusammenzubringen. Er selbst lebte spartanisch einfach, rauchte die schlechtesten Zigarren und versagte sich im Winter selbst jede Heizung, um für sein Haus zu sparen.

Weniger angenehm war, daß sich diese Sparsamkeit auch auf den Tisch erstreckte, der an Fasttagen derart war, daß wir oft nach dem Essen in die Stadt fahren mußten, um uns etwas zu stärken. De Waal war mit allem zufrieden, was die sparsame Köchin Auguste auftischte: Die Kapläne sagten, er vermöge selbst Schuhnägel zu verdauen. Sehr geschickt verstand es de Waal auch, für seinen Camposanto Geld zu sammeln. Was er im Laufe der Zeit geschaffen, ist aller Anerkennung wert.

Eine Reihe von Anbauten – Bauen war de Waals Lust – eine sehr schöne Bibliothek, ein interessantes Museum werden noch lange seinen Ruhm verkündigen. Er selbst nannte den Camposanto gern das Schwalbennest an Petri Dom. Mir war es schon an sich eine große Freude, so nahe beim Grabe des ersten Papstes und bei dem Palast des lebenden wohnen zu können. Dazu kam die Zeitersparnis bei dem täglichen Besuch der vatikanischen Bibliothek, die zum Studium geeignete stille Lage des Hauses, von dessen Dach ich jeden Abend die herrliche Aussicht genoß: im Vordergrund St. Peter und der Vatikan, die villenbesetzten Hügel, in der Ferne meist wunderbar beleuchtet das Gebirge, an dessen Fuß Tivoli und Frascati herüberleuchteten".