Von Johannes Grohe

In Erinnerung der Breccia di Porta Pia am 20. September wurde in einem eigenen Beitrag an die Konzeption des Tores durch Michelangelo und Schüler erinnert. Anlässlich der Renovierung des Tores durch Virginio Vespignani in den Jahren 1853-1869 im Auftrag von Pius IX. blieb die Innenfassade weitgehend im Stil Michelangelos erhalten. Die Außenfassade wurde dagegen im neoklassizistischen Stil umgestaltet. Hier finden sich Bezüge auf die heiligen Märtyrer Agnes (ca. 237-250) und Papst Alexander I. (ca. 106-116).

Zum Zeitpunkt der Renovierung der Porta Pia glaubte man, in einer Katakombe, die 1854 an der Via Nomentana auf einem Grundstück entdeckt wurde, das der Propaganda Fide gehörte, das Grab Papst Alexanders I. (106-115) gefunden zu haben, was freilich später in Frage gestellt wurde (Louis Duchesne und andere). Pius IX. hatte am Vormittag des 12. April 1855 diese Alexander-Katakombe mit großem Gefolge besucht und die Ausgabungen in Augenschein genommen; dabei wurde er von etlichen Kardinälen, Prälaten der Propaganda und Vertretern des Collegio Urbano begleitet.

Im Anschluss besuchte der Papst die gleichfalls an der Via Nomentana gelegene Basilika S. Agnese fuori le mura und blieb im Konvent der Kanoniker der Congregazione dei Lateranensi mit Gefolge zum Mittagessen. Dann wollte Pius IX. gegen 16.00 Uhr die Alumnen des Collegio Urbano in einem anliegenden Raum im ersten Geschoss des Gebäudes empfangen. Dabei hatte man offenbar nicht die Statik des Saales bedacht, denn als sich die 130 Personen im Raum einer nach dem anderen dem Papst zum zeremoniellen bacio del piede näherten, brach unter ihnen der Fußboden zusammen und alle stürzten in die 19 palmi romani (etwa 4,75 m) darunter liegende Küche hinunter. Das Entsetzen war groß, fürchterlicher Lärm und eine dichte Staubwolke hüllte alle ein.

Pius IX. hatte Glück im Unglück: Pare ad alcuni che il papa cadesse seguendo il cadere di quel pezzo di trave su cui poggiava la sedia, e, per quanto si può congetturare, sembra che, sdrucciolando pian piano sopra di esso, il Papa con tutta la sedia venisse insieme colla trave a terra, dove la sedia medesima (mirabile provvidenza!) rovesciatasi sopra il Santo Padre, senza offenderlo per nulla, gli servì anzi come di tetto a difesa del capo e di tutta la persona dai cadenti rottami. Pius IX. sauste also wie auf einer Rutschbahn über den zerbrochenen Balken auf seinem Thron in die Tiefe, und unten angekommen, kam er unter diesen Sitz zu liegen, der ihn vor den weiteren herabfallenden Trümmern schütze. Angesichts der Tatsache, dass der Papst keinen Schaden nahm, lediglich die Kleidung etwas zerrissen war, führte den Autor eines Artikels in der Civiltà Cattolica, relazione del disastro accaduto in S. Agnese il dì 12 Aprile, der den Vorgang minuziös beschreibt, zur Annahme einer wahrhaft wunderbaren Errettung:

Il certo sì è che Sua Santità non ebbe nel cadere la menoma offesa, e nè anco una leggera scalfittura; cosa che pare incredibile a chi conosce l’altezza, e il pericolo della caduta. Non è perciò possibile l’attribuire ad altro che ad una specialissima provvidenza del cielo questa veramente prodigiosa incolumità – dies auch, weil unter den vielen Personen, die mit hinabstürzten, keiner zu Tode kam, und sich auch die Verletzungen in Grenzen hielten (der Bericht in: La Civiltà Cattolica [1855] II 338-353 und 467-469).

Am Ort des Geschehens erinnert heute eine Kapelle an das der Gottesmutter, der Hl. Agnes und dem Hl. Alexander zugeschriebene Wunder. Das Bild des Malers Domenico Tojetti (1860) zeigt über dem Tumult des Einsturzes die Hl. Agnes, die sich hilfesuchend an die Gottesmutter wendet, und den Hl. Alexander I., der Papst Pius IX. beschützt. Die Gestaltung der Außenfassade der Porta Pia trägt gleichfalls dem Ereignis Rechnung: Pius IX. widmete das Tor den Hieromartires Alexander und Agnes, der erste sein siegreicher Vorgänger, die zweite seine Erretterin (sospitatrix) und ließ ihre Statuen in Nischen rechts und links des Eingangs der Porta anbringen.