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Wie die Kirche des Campo Santo Teutonico bis 1972 aussah

Am 14. Februar 1869, nur ein Jahr vor dem Untergang des Kirchenstaates, schrieb der damalige Rektor des Campo Santo Teutonico, Philipp Müller (* 1804 in Molsberg in Nassau, + 1870 in Rom, bestattet auf dem Campo Santo Teutonico) einen verzweifelten Brief an die österreichische, preußische und bayerische Gesandtschaft beim Heiligen Stuhl über die untragbaren Verhältnisse, die am deutschen Friedhof herrschten. Der Brief ist ein einzigartiges Sittengemälde des Zusammenlebens des Campo Santo, der damals noch kein Priesterkolleg, sondern Pilgerhospiz ist, mit den "lieben Nachbarn". Es zeigt sich, dass Müller durchaus ein streitbarer Zeitgenosse war. Besonders beachtlich sind die italienischen Schmährufe, die man lauthals dem "deutschen Spion" entgegenhielt (fett gedruckt):

„Es sind nun fast zwei Jahre, daß sich von Personen aus den Häusern Nro. 12, 13, 14, 15 und anderen Häusern um den Campo Santo herum, worunter auch eine Osteria sich befindet, wenn auch nicht eine revolutionäre so doch feindliche Gesinnung kund gibt, die von Erwachsenen und herab bis zu den kleinsten Kindern in Aeußerungen, Schreiereien, veranstalteten Zusammenrottungen von rohen Gassenjungen und Kindern den ganzen Campo Santo, der wie eine Insel zusammenhängend da liegt, umziehend, die heftigsten Provokationen oft mit wahrer bachanaliser [!] Wuth, und charivarischen Insignen, Gebehrden und Weisen singen: gli Tedeschi mangiano il nostro, sono ladri, infami, birboni [!] etc.

Im Hospitz wohnen stets deutsche Priester, die studieren, Pilger und Pilgerinnen, die also mit dem Rector Morgens, Mittags und Abends so begrüßt werden; die Brüder der Erzbruderschaft versammeln sich zur Abhaltung ihrer Officien, Gottesdiensten und Andachten, während diese rohen Schimpfungen um Kirche und Oratorium herum in Intervallen ertönen, besonders in der Woche um 7 Uhr Morgens während der täglichen Messe des Unterzeichneten und an Sonn- und Festagen um 10 Uhr Morgens und Nachmittags während des Kreuzweges und des Segens mit dem hochwürdigsten Gute. Veranlaßung gibt die deutsche Stiftung durchaus nicht. Die armen Pilger gehen den ganzen Tag ihren Verpflichtungen nach und kommen Abends um Ave Maria ins Hospitz zurück und haben ihre nöthige Nahrung außerhalb genommen, die Angestellten des Hauses sind so gering besoldet, daß sie mit dem Rector kaum ihr Leben durchbringen können. Es ist also boßhafte Verläumdung, sie als Fresser zu verschreien, und noch boßhafter, uns diesen Verhöhnungen der deutschen Nazion bei Kindern und Erwachsenen, den täglich vorübergehenden Fabrikarbeitern, unter den Augen der im Campo Santo herum einkassernirten Soldaten Propaganda zu machen, so daß man vom frühen Morgen an bis Abends späth nichts hört als diese Schreiereien. Weder der Rector des Hauses und die Diener noch die Geistlichen und Pilger haben diesem Pöbel Veranlassung dazu gegeben.

Man hat schon vor zwei Jahren sich wegen dieses Unfugs schriftlich und mündlich an Monsignore Randi (Lorenzo Ilarione Randi [1818-1887], 1865-1870 Ministro di Polizia des Kirchenstaates; Hinweis Hartmut Benz) klagend sich gewendet, an die Presidenza, an den Pfarrer dieser Leute, aber vergebens, der Scandal dauert fort, weil er von den nahen Bewohnern der Spelunken kömmt, die St. Peters Fabrik gehören, und ganz polizeiwidrig in ihrem verwahrlosesten Zustande dort gelassen werden. Jeder Hausbesitzer muß für seine Insassen verantwortlich sein, hier aber wird gegen alles Gesetz an Sonn- und Feiertagen Wein ausgeschenkt, während man in St. Peters Dom den heiligen Vater im Gottesdienste umgibt, fahren die Wagen öffentlich an der Kneippe an, in der getrunken und gezecht wird und die Bewohner um das arme Hospitz von Campo Santo herum werden belohnt und instikirt [!] zu schreien: Spia tedesca, mangia, mangia il nostro, etc. etc. egli non fa – non sono sacerdoti – vadano con questi sacerdoti etc. Wenn die Glocke zur heiligen Messe ruft und sonst Stille geherrscht, gehen die Thüren, die Hunde fangen an zu heulen, aber die Kinder gehen an der Kirche auf und ab und recitiren, was die Erwachsenen sie gelehrt: spia tedesca dica la messa, egli mangia, si, egli non fa, egli mangia troppo, è un latro, un infame, un birbone, fa bon pranzo, mangia separato, mangia la notte etc. oder man unterhält sich an den Thüren, Väter und Mütter, so laut, daß der Priester in der heiligen Handlung gestört, die Gläubigen nicht beten können; wären diese bösartigen Menschen beschäftigt, und sprächen von ihren Geschäften, so würde dieses nicht auffallen, da man aber, Groß und Klein, immer dieselben Worte vorbringt, tedescho – spia tedescha – egli non è nostro, e un infame, etc. und dies schon 2 Jahre fortgedauert, so liegt in dem ganzen Gebahren dieser Menschen nichts anderes, als zu chicaniren, und es so weit zu treiben, wie bei einem deutschen Invaliden, der mit seiner Familie unter diesen Fischern, Froschfängern und Korbmachern so lange gequält wurde, bis er endlich in ein anderes Stadtvirtel ziehen mußte.

Hier kann nichts anderes helfen als daß eine Person der geheimen Polizei in Civilkleidern mehrere Tage das Leben dieser Viterbesen (und) der anderen vom Lande hieher gezogenen Leute gehörig beobachtet, er kann es in meiner Wohnung ungekannt und gesehen von Niemandem am besten thun, seinen Rapport machen und dann muß die Fabrik von St. Peter ernstlich angegangen werden, ihre Hütten entweder an bessere Personen zu vermiethen, oder was wegen der Nähe des Vaticans und der Confession des h.h. Apostelfürsten am trefflichsten wäre, dieselben abzureißen und einen mit Bäumen besetzten Platz anzulegen, was allen Fremden und Einheimischen angenehm sein müßte, die Umgebung des Vaticans und St. Peters verschönern, und verhindern würde, daß jene nächtlichen Aufenthalte von wer weiß welchen gefährlichen Personen abgeschnitten wären. Eine andere Folge dieser Ungezogenheiten ist die, daß sich die wenigen Besucher unserer abgelegenen Kirche noch weniger werden [!], weil kein edeler [!] Mensch ohne inners Bedauern sehen und hören kann, wie diese Eltern ihre Kinder selbst zur Revolution anleiten, indem sie dieselben zur Verhöhnung des Heiligsten und zum Priesterhasse anführen.

Wie oft wurde der Schreiber dieses (Schreibens) von hohen Personen aus allen Gegenden Europa’s gefragt, wem diese elenden Hütten gehörten? Und er mußte ihnen antworten, sie gehören der Fabrik von St. Peters Dom. Ach, nein! hieß es dann erstaunt! An der Confession des heiligen Apostelfürsten, unter den Augen des heiligen Vaters im Vatican, duldet man dies? O wie schön wäre es, wenn man diesen ganzen Winkel von diesen ungesunden Barakken befreite, zu einem öffentlichen Platz, mit Bäumen besetzt, umgestaltete, welches die Luft reiner und der Wohnung des Statthalters Jesu Christi auf Erden angemessener und des Grabes des Apostelfürsten würdiger wäre. […]“.

Zu Philipp Müller siehe V. Lemke, in: Päpstlichkeit und Patriotismus. Der Campo Santo Teutonico: Ort der Deutschen in Rom zwischen Risorgimento und Erstem Weltkrieg (2018) 507-546.