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Der Kunsthistoriker Ingo Herklotz aus Marburg hat seinen Marburger Kollegen Richard Krautheimer (1897-1994), einen der "meistgelesenen und einflussreichsten Architekturhistoriker des 20. Jahrhunderts" (S. 7), erforscht. Und zwar behandelt er in einem umfangreichen Band die acht Lebensjahre von 1925 bis 1933. Im Wesentlichen habe der Ende 1935 in die USA emigrierte Krautheimer dort seine bereits in Deutschland bzw. 1930-1935 in Italien konzipierten Forschungsprojekte weitergeführt. Insofern sei die frühe Phase entscheidend zur Würdigung der Person.

Ein wenig verwirrend ist der Buchtitel "Richard Krautheimer in Deutschland. Aus den Anfängen einer wissenschaftlichen Karriere 1925-1933", insofern Krautheimer ab 1930 bereits in Rom bzw. Italien ist. Gerade die im Anhang dokumentierten Protokolle der Führungen in römischen Kirchen und Gesprächsabende an der Hertziana 1930-1932 sind für Herklotz immer wieder ein wichtiger Bezugspunkt, um das frühe Denken Krautheimers zu ermitteln, das dann jahrzehntelang weiterwirkt.

Auch wird sein Wirken weit über 1935 hinaus behandelt, keineswegs nur auf die genannten acht Jahre beschränkt. Die Wurzeln des erst in den USA berühmt gewordenen Krautheimer auf die Jahre "in Deutschland" einzugrenzen, hat jedenfalls nichts mit nationaler Spurensuche zu tun, sondern ist faktisch eher die Rekonstruktion einer zwischen Deutschland und Italien hin- und hergerissenen Forscherpersönlichkeit. Für Krautheimer blieben die historischen Baudenkmäler in Deutschland und Italien lebenslang bestimmend, bis zu seiner endgültigen Rückkehr nach Rom, wo er am 1. November 1994 hochbetagt starb.

Krautheimer war im Wesentlichen Architekturhistoriker. Er befasste sich mit Bettelordenkirchen, Synagogen und dann in Rom vor allem mit den frühchristlichen Kirchen. In Rom geriet er durch die nazionalsozialistische Judenverfolgung in Bedrängnis. Er arbeitete damals an seinem berühmten mehrbändigen Corpus Basilicarum, und zwar aus Interesse an der Architektur. Ihm fehlte jede Erfahrung als Christlicher Archäologe.

Er konnte nicht nach Deutschland zurück, verlor aber in Rom seinen Lebensunterhalt, da er die Hertziana verlassen musste. In dieser Notlage half ihm entscheidend das Päpstliche Institut für Christliche Archäologie unter Rektor Johann Peter Kirsch (begraben auf dem Campo Santo Teutonico). Kirsch bot ihm an, sein Corpus Basilicarum am Institut zu veröffentlichen. Der Heilige Stuhl finanzierte Krautheimer mehrere Mitarbeiter (S. 357-359). Herklotz geht ausführlich auf das italienisch und englisch veröffentlichte Grundlagenwerk ein, das bis heute seinen Wert hat und teilweise nachgedruckt ist (S. 144-183). Ein Ergänzungsband, der die Erkenntnisse zusammenfassend darstellen sollte, mit dem Titel "Die frühchristliche Basilika in Rom" kam leider nicht zustande (S. 162, 272).

Herklotz behandelt ferner die von Krautheimer entwickelte Architekturikonographie, d.h. die Deutung diverser Bautypen, etwa des Rundbaus (Baptisterien, Kirchen), und ihres symbolischen Gehalts, ferner seine These einer karolingischen Renaissance des frühchristlichen Kirchenbaus. Solche Überlegungen gingen aus Krautheimers Beschäftigung mit der frühchristlchen Architektur hervor. Vieles davon ist heute überholt, vor allem durch Erkenntnisse der Christlichen Archäologie., auch wenn Krautheimers Thesen jahrzehntelang die Diskussion angeregt haben.

Herklotz würdigt Krautheimer durchgehend kritisch. Er verklärt ihn nicht. Er zeigt ohne Umschweife seine Zeitgeistigkeit, seine "Voreingenommenheit" (S. 220), etwa im heiklen Kapitel über "Die Geschichte der deutschen Baukunst" (S. 184-271).

Herklotz' gewaltige Studie lässt wenig zu wünschen übrig. Sie bietet reichhaltiges Material gerade auch zur Geschichte der Christlichen Archäologie in Rom, besonders für die Erforschung der Architektur, und stützt sich hierfür auf zahlreiche Archivbestände, die auch für weitere Fragestellungen wichtig sein werden. Eine maßvolle Bebilderung erleichtert das Verständnis seiner Ausführungen, die tief in die vergangenen Fachdiskussionen eindringen, in denen Herklotz selber vollständig zuhause ist.

Die meisten Protagonisten aus Krautheimers Umfeld, auch er selber, finden sich ausführlich im Personenlexikon zur Christlichen Archäologie

 Richard Krautheimer in Deutschland