Arnold Esch hat in seinem glänzenden Buch Die Lebenswelt des europäischen Spätmittelalters schon 2014 Erkenntnisse erzählerisch ausgebreitet, die unvermutet aktuell sind. Wie heute Menschen den Papst anrufen, um ihm ihre Sorgen mitzuteilen, und dann mehr oder weniger getröstet werden, so schrieb man im Mittelalter an den Stellvertreter Christi in seinen Anliegen und Streitsachen, und aus diesen Briefen hat Esch ein herrlich anschauliches Bild zusammengestellt. Im Kapitel "Krieg und Pest" liest man:

"Zu welch drastischen Schritten die Ansteckungs-Phobie und entsprechende Gegenmaßnahmen der Obrigkeit führen konnten, zeigt die folgende Episode aus Salerno (im Jahr 1479). Der Kommendatar des Zisterzienserpriorats San Leone vor den Mauern von Salerno legt dar,

,dass er, als im vergangenen Sommer in Salerno die Pest wütete, aus Mitleid einen Laien namens Melchior, dem er wohlwollte, zum Wohnen in das Haus dieses Priorats aufnahm. Als dieser Melchior von einigen Männern von Salerno, damals die sogenannten "Gewählten" der Stadt, aufgefordert wurde, er solle in die Stadt kommen, um Brot zu backen, sagte der Petent dem Melchior, dass er, wenn er in die Stadt gehen wolle, fortan nicht mehr in das Haus zurückkommen dürfe. Melchior wollte dem Gebot dieser Gewählten gehorchen und betrat die Stadt. Danach wollten die Gewählten, dass der Petent gegen seinen Willen doch diesen Melchior bei sich zu Hause aufnehme, obwohl er die Aufnahme doch verweigerte deswegen, weil Melchior Umgang mit Personen gehabt hatte, die unter Pestverdacht standen'.

Als die Stadtregierung ihn nun dazu zwingen wollte und das Priorat stürmte, verbarrikadierte er sich und verwundete einen der Eindringlinge, bevor er gefangen abgeführt wurde.

Oder man sann auf andere Formen der Isolierung. Ein Vater steckte seine Tochter ins Kloster, damit sie dort die Pestwelle sicherer überstehe - und nicht etwa, um Nonne zu werden. Doch die Äbtissin sah das anders. Um Kloster-Nachwuchs besorgt, bearbeitete sie das hier nur geparkte Mädchen kräftig, bis der empörte Vater ihr das durch den Weihbischof untersagen ließ.

Und andere ungewöhnliche Vorsichtsmaßnahmen. Als in Parma eine Frau während einer ganz schlimmen Pest heiratete, ließ sie in den Heiratsvertrag setzen, der Ehemann sei verpflichtet, sie aus der Stadt und aus der Heimat und von dieser Pest wegzuführen und draußen zu halten - und als er das nicht tat, gab ihm Giovanna den Ehering zurück".