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Matthias M. Tischler (Barcelona) hat in den "Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung" (127,2, 2019, S. 317-333 [im Bestand der Bibliothek des Campo Santo Teutonico]) einen bedeutsamen Aufsatz mit dem programmatischen Titel "Warum es unmöglich ist, eine Wahrnehmungsgeschichte der ,Religionen' im Frühen und Hohen Mittelalter zu schreiben" veröffentlicht, in dem er sich vor allem mit Hans-Werner Goetz (Hamburg) auseinandersetzt. Tischler hält den Versuch, die Mediävistik "relevant" und "anschlussfähig" zu machen, indem man etwa von "Staaten" und "Religionen" spricht, für verfehlt, weil man damit aufklärerische Begriffe und Vorstellungen ins Mittelalter projiziere.

"Bis zum Hochmittelalter war ,Christentum' eher eine Art res publica christiana, ein Netzwerk von verschiedenen, im Sinne der einen Botschaft Jesu Chrsti handelnden Glaubensgemeinschaften zunächst der mediterranen Welt, die sich durch ihren gemeinsamen Glauben definierten, aber durchaus verschiedene Riten praktizierten und die sich allmählich in Form von Kirchen (,nationale' Kirchen, Gesamtkirche) und monastischen Gemeinschaften (Klöster, Kongregationen udn Orden) institutionalisierten, welche sich auf der Grundlage von Bibel, Kirchenrecht und Satzungen zunehmend ein festes Gebäude von Glaubens- und Rechtssätzen gaben und in der Auseinandersetzung mit allem konkurrierenden nicht-rechtgläubigen (häretischen) und nicht-christlichen (heidnischen, jüdischen und muslimischen) Traditionsgut allmählich zur Definition von religio als ,christlicher Religion' kamen. Die Vielfalt von ,Religionen' anzuerkennen hingegen war nicht die Einsicht der von Goetz behandelten Epoche des Früh- und Hochmittelalters, die selbst gar keinen eindeutig definierten Religionsbegriff aus der Antike geerbt hatte, sondern nur die Vorarbeit zur Ausbildung eines solchen, im übrigen eurozentrischen Konzeptes von ,Religion' leistete, das schließlich im Zeitalter von Kolonialismus und Aufklärung in die gesamte Welt exportiert wurde" (S. 330).